Wortwahl und Verantwortung

Wortwahl und Verantwortung

Unsere Worte wirken. Sie sind die Visitenkarte unserer Persönlichkeit.

Autor: Horst Rückle

Jeder Mensch verfügt über Sprachästhetik. 99 % der Menschen, so die Ergebnisse einschlägiger Forschungen, können sofort beurteilen, ob in ihrer Sprache etwas schön, ansprechend, hässlich oder abstoßend klingt oder wirkt.

Deshalb werden gerne Euphemismen (schönende Begriffe) als Werbeschlagwörter verwendet. So wird aus einem Altenheim eine Seniorenresidenz, aus einer Müllkippe eine Deponie, aus einem veralteten Auto wird ein Oldtimer, aus alten Menschen werden Senioren usw. 

Problematisch sind täuschende oder unklare Begrifflichkeiten überall dort, wo es um Vorbildwirkung, Motivation und Moral geht. Was manche Firmen ihren Mitarbeitern und Geschäftspartner in ihren Broschüren und Werbebotschaften zumuten ist oft nicht zu fassen. Da steht auf der einen Seite der "Mensch im Mittelpunkt" und einige Seiten später wird von Shareholder Value gesprochen. Welcher Mensch ist da wohl gemeint? 

Ohne lexikalisch geprüft zu haben sind Firmen immer noch "kundenorientiert", teilen aber gleichzeitig mit, dass das Unternehmen nur ein Ziel habe, "Ertrag zu erwirtschaften". In der Anzeige einer Bank ist unter den Werten: "freundlich, kompetent und sehr persönlich" zu lesen: "komme sofort", mit "Mini-Computer". Abgebildet ist ein junger Mann, den Aktenkoffer in der rechten Hand, die linke in der Hosentasche. Nur die linke Gesichtshälfte lächelte. Wo ist bei so viel Scheu, Unhöflichkeit und abwertender, falscher Wortwahl Kompetenz bewiesen? Und kann ein wirklich kompetenter und damit gefragter Fachmann "sofort kommen"?

Nicht nur widersprüchliche Botschaft, auch Tilgungen sind häufig. Statt von Mitarbeitern "lebenslanges Lernen" zu fordern, wird ein "lernendes Unternehmen" propagiert. Wörtlich sagten uns Mitarbeiter eines solchen Unternehmens: "Wir warten, bis das Unternehmen lernt". Wer dagegenhält, dass dies nur die Demotivierten sagen, argumentiert zu kurz. Richtige Wortwahl würde gerade den Problemgruppen die Argumentationsgrundlage entziehen. Ich weiß: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. 

Aus der Biologie kennen wir die "Intelligenz des Schwarms". Dieses Prinzip kann aber nur wirken, wenn alle Mitarbeiter sich an den Zielen des Unternehmens orientieren, sich von den Werten des Unternehmens begeistern lassen und gerne für die Zielgruppen des Unternehmens arbeiten. Diese >Frei-willig-keit< wird oft mit einem anderen unscharfen Begriff torpediert, mit dem Wort Identifikation. Identifikation ist Selbstaufgabe. Kann ein Unternehmen dies wollen? Ist es nicht vielmehr so, dass sich Mitarbeiter für die Ziele und Werte des Unternehmens engagieren sollen? Schließlich hat nur der Engagierte so viel innere Distanz, dass er zu Krisenmanagement, Kritik und Veränderungsmanagement fähig ist, dass er Situation und Person trennen kann. Gerade diese Qualifikationen aber sind wesentliche Erfolgsfaktoren in einer sich schneller als je zuvor ändernden Umwelt.

Lange Sätze ohne Informationsgehalt, Aussagen, die am anzunehmenden Motiv des Empfängers vorbeilaufen und Floskeln sind leider ebenfalls oft feststellbar. Es scheint, als ob manche Werbetexter ihrer eigenen Verwirklichung dienen und in schriller Sprache den Empfänger zumüllen. 

Mag es daran liegen, dass klare Aussagen zu verbindlich wirken, dass der Verfasser der Botschaft befürchtet, wörtlich genommen zu werden? Die Furcht vor Klarheit vertreibt auch die Chance für's Geschäft!

Unternehmen, die die betriebswirtschaftliche Bedeutung von Sprache unterschätzen, verzichten auf Milliarden an Leistung und Umsatz. Wie soll ein Verkäufer noch verkaufen, wenn er sich kundenorientiert verhalten soll? Wie sollen Versicherungsmitarbeiter Schadensfälle gleichzeitig kundenorientiert und für das Institut sparsam abwickeln? Wie wollen Banken >kundenorientiert< begründen, daß sie Zweigstellen schließen und Serviceleistungen reduzieren? Viele Mitarbeiter, die ihr Unternehmen ernst nehmen, nehmen auch dessen Anweisungen wörtlich. Viele desertieren deshalb vom Unternehmenserfolg zur Kundenzufriedenheit. Wird diese - und in manchen Firmen auch noch die Mitarbeiterzufriedenheit als Ziel wörtlich genommen, sind Nachgeben statt Fordern, Gutschreiben statt Ablehnen, positiv Beurteilen statt motivierende Unzufriedenheit auszulösen, die unseren Beobachtungen zufolge häufigsten, konfliktvermeidenden Verhaltensweisen.

Unternehmen haben oft das Problem, Sachaussagen so zu formulieren, dass Empfänger ihren motivbezogenen Nutzen erkennen und gefühlsmäßig aktiviert werden.

Für mehrere Großunternehmen haben wir deren Produktkataloge (Automobilelektrik und -elektronik, Maschinen für Handwerker u.a.) in Zusammenarbeit mit deren Werbeabteilungen und -agenturen als Coachingmaßnahme nutzenbezogen bearbeitet. Der Erfolg gab den Ergebnissen recht. Es ist auch für den Empfänger ein Unterschied, ob die Zündkerze mit einem "Kupferkern" ausgestattet ist oder "der dadurch stärkere Zündfunke den Benzinverbrauch senkt", ob die Bohrmaschine mit einem "Sanftanlauf" ausgestattet ist, oder ob "damit gelenkschonend gearbeitet werden kann".

Nutzenlose Aussagen motivieren nicht. Inhaltsleere, banale und lexikalisch falsche Aussagen schaden. Werden Führungskräfte mit "Durchsetzungsvermögen" und "Überzeugungsfähigkeit" gesucht und lesen die Mitarbeiter diese Suchanzeigen, können sie leicht ableiten, welche autoritäre Führung auf sie zukommen wird. Unklare Begrifflichkeiten lösen Verunsicherung bei Vielen, kaum aber positive Resonanz aus. Wie hörten wir von Mitarbeitern eines Konzerns als Reaktion auf eine neue Imagebroschüre: "Das ist wieder einmal das Werk eines neuen Vorstandes - am besten man liest es gar nicht, denn beurteilt, befördert und vergütet wird bei uns nach anderen Kriterien!"

Wie wäre es, wenn Begriffe wie Charisma, Persönlichkeit, Begeisterungsfähigkeit, Hilfsbereitschaft, Verlässlichkeit u.a. Maßstäbe wären, die den Unternehmenswerten entsprechend bei der Personalsuche, -auswahl, -entwicklung, -beurteilung, Beförderung und Vergütung durchgängig gelebt würden? Immer mehr Unternehmen begreifen wie wichtig Klarheit ist, um in Mitarbeitern Begeisterung und Motivation und bei Kunden den Wunsch nach Dauerbeziehungen (Kundenbindung ist auch so ein problematischer Begriff!) auszulösen. Wer positive Resonanz und Leistung will, muss Werte, Sinn und Klarheit bieten!

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